Wie kann ein Bürokratiemonster die Qualität in der Psychiatrie sichern?
Die Psychiatrie in Sachsen-Anhalt braucht mehr Gestaltungsspielraum, damit sie ihrem Behandlungsauftrag gerecht werden kann. Um Politiker*innen aus Sachsen-Anhalt für die möglichen Auswirkungen neuer Vorgaben zur Mindestpersonalausstattung in der Psychiatrie zu sensibilisieren, hat das AWO Fachkrankenhaus Jerichow gemeinsam mit dem AWO-Vorstand erneut politische Mandatsträger*innen zum Austausch- und Praxisgespräch eingeladen. Mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Dr. Herbert Wollmann sind in dieser Woche an praktischen Beispielen die neuen - leider praxisfernen - Rahmenbedingungen vorgestellt worden.
Die Neufassung der „Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik – Richtlinie“ (PPP RL) stellt mit ihren geänderten Vorgaben zur Mindestpersonalausstattung die Qualität der psychiatrischen Versorgung in Frage. Die Rahmenbedingungen der Patientenversorgung werden durch die PPP-RL erheblich verändert. Der dahinterliegende Grundansatz ist, die Qualität in der Psychiatrie und Psychosomatik vorrangig über Personalbemessung zu steuern. Sanktionszahlen bei geringfügigen Unterschreitungen der Personalzahlen sollen nach dem Willen des G-BA (Gemeinsamer Bundesausschuss) eine hohe Qualität in der Patientenversorgung sicherstellen. Der G-BA ist das höchste Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen Deutschlands.

Am Praxisgespräch im AWO Fachkrankenhaus Jerichow, das nun zum zweiten Mal durchgeführt worden ist, haben teilgenommen:
- Dr. Herbert Wollmann, Mitglied des Deutschen Bundestages und vertreten im Gesundheitsausschuss
- Reiner Insterberg, Büroleiter von Herrn Dr. Wollmann
- Nadine Sauermilch, stellvertretende Pflegedienstleiterin AWO Fachkrankenhaus Jerichow
- Angela Mangold, Mitglied im Betriebsrat und Pflegekraft Gerontopsychiatrie
- Thomas Wendler, Geschäftsführer AWO Fachkrankenhaus Jerichow
- Hendrik Hahndorf, Vorstandsvorsitzender AWO Landesverband Sachsen-Anhalt e. V.
Zahlentechnisch umfangreich aufbereitet stellten die Krankenhausvertreter*innen die komplexe Thematik vor. Aufgrund ihrer detaillierten Berechnungen konnten sie ihre grundsätzliche Kritik an der neuen Richtlinie eindrucksvoll belegen. Daten aus dem Personalprogramm und jede Menge händische Verarbeitung durch das Medizincontrolling sind erforderlich, um die geforderte Datenflut überhaupt zur Verfügung stellen zu können. Das AWO Fachkrankenhaus Jerichow bemängelt, dass die neuen Vorgaben funktionierende Strukturen gefährde und insbesondere einen Personalabbau für Krankenpflegehelfer*innen fordere. Pflegehilfskräfte sind vermehrt beschäftigt auf den Stationen Gerontopsychiatrie sowie Verhaltenstherapie bei Intelligenzminderung und chronisch seelischen Erkrankungen.
Seitens der AWO in Sachsen-Anhalt gibt es folgende Forderungen und Lösungsansätze:
- Eine grundlegende Überarbeitung der 30 Jahre alten Anhaltszahlen der Psych-PV, damit die Vorgaben alle Patientengruppen einbeziehen und eine leitliniengerechte Behandlung sichern
- Die Erarbeitung einer sachgerechten Regelung für ausgebildete Krankenpflegehilfskräfte
- Eine bessere Verzahnung der PPP-RL mit den Abrechnungs- und Budgetvorgaben, um eine sachgerechte finanzielle Ausstattung der Kliniken sicher zu stellen
- Eine ENTBÜROKRATISIERUNG der Vorgaben:
- Vorgabe, Verhandlung und Nachweis des Personaleinsatzes in jahresdurchschnittlichen Vollkräften mit den Krankenkassen
- Einhaltung der Mindestvorgabe im Jahr und je Krankenhaus (anstatt Quartal, Standort und Fachabteilung) - Die Abschaffung der unverhältnismäßigen Sanktion in Form von Rechnungskürzungen