Erster Fachtag der Landesarmutskonferenz: „Sozialstaat stärken. Armut bekämpfen. Demokratie verteidigen.“
Statement zum Fachtag „Sozialstaat stärken. Armut bekämpfen. Demokratie verteidigen.“

Am 23.10.2024 setzte sich die Landesarmutskonferenz Sachsen-Anhalt in Wolmirstedt mit zahlreichen Gästen aus Wissenschaft, Praxis, Politik und Gesellschaft im Rahmen des Fachtages „Sozialstaat stärken. Armut bekämpfen. Demokratie verteidigen.“ intensiv mit den Angriffen auf den demokratischen Sozialstaat auseinander. Dabei ziehen wir folgende Schlussfolgerungen:
Armut und soziale Ungleichheit sind eine ernsthafte Bedrohung für unsere Demokratie.
Der demokratische Sozialstaat gerät immer stärker unter Druck. Über verschiedene politische Lager hinweg lauten die Analysen: „zu teuer“, „zu ineffektiv“, „zu viel Missbrauch“. Menschen, die auf ihn angewiesen sind, werden als faul und belastend für die Gemeinschaft stigmatisiert und diffamiert. Kürzungen sozialer Infrastruktur werden als einzige Lösung für die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft und des gesellschaftlichen Zusammenhalts präsentiert – die Frage ist nur, bei wem der Rotstift zuerst angesetzt werden soll.
„Die aktuellen Debatten zielen zunehmend darauf ab, unseren Sozialstaat und Menschen in Not immer stärker unter Druck zu setzen. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird in Frage gestellt, und die bloße Existenzsicherung soll an Bedingungen geknüpft werden. Besonders Erwerbslose und Menschen mit Migrationsgeschichte werden in diffamierenden Diskussionen als „Sozialschmarotzer*innen“, „Totalverweigerer*innen“ und „Faulenzer*innen“ stigmatisiert und pauschal verurteilt. Das muss aufhören! Niemand wählt Armut freiwillig! Jeder Mensch hat ein Recht auf soziale Sicherheit und Teilhabe! Dafür braucht es einen grundlegenden politischen Kurswechsel, denn Armut ist kein individuelles Versagen, sondern hat strukturelle Ursachen. Daran müssen wir arbeiten!“ so Barbara Höckmann (1. Sprecherin der Landesarmutskonferenz Sachsen-Anhalt, AWO Landesverband Sachsen-Anhalt)
Wir werden nicht länger zulassen, dass in diesen Debatten die Verletzlichsten unserer Gesellschaft gegeneinander ausgespielt werden! All das beschädigt das Vertrauen in Politik und Verwaltung und damit letztendlich in unsere Demokratie. Allem voran aber verfestigt es Armut. Es darf nicht länger unwidersprochen bleiben, wenn soziale Sicherung als massive Bedrohung für die Zukunftsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft dargestellt wird.
Einigkeit und Gemeinsamkeit entsteht nur, wenn wir Ungleichheit eine klare Absage erteilen und politisch handeln. Sozialstaat und Wirtschaft geht nur Hand in Hand.
Der Sozialstaat ist für gesellschaftliche Teilhabe und Chancengerechtigkeit unverzichtbar. Zudem stärken sozialpolitische Maßnahmen wie Bildungsinvestitionen das Wirtschaftssystem langfristig. Es bedarf entschlossener, solidarischer Lösungen, um Armut endlich wirksam zu bekämpfen. Dazu sind klare Bekenntnisse erforderlich.
„Wenn wir Armut bekämpfen und ihr Entstehen verhindern wollen, dann brauchen wir ein deutlicheres Bekenntnis zu sozialer Sicherheit mit effektiven Maßnahmen. Dazu gehören faire Löhne und ein armutsfester Mindestlohn, die Erwerbsarmut reduzieren, Regelsätze, die angemessenen Wohnraum, gesunde Ernährung und echte soziale Teilhabe ermöglichen, Investitionen in das Bildungssystem, eine echte Kindergrundsicherung, die eine Chance auf eine selbstbestimmte Zukunft garantiert, eine armutsfeste Alterssicherung und allem voran eine gerechtere Lastenverteilung, die hohe Einkommen und Vermögen stärker an der Finanzierung des Sozialstaates beteiligt. Wenn sich Menschen von politischen Debatten und Maßnahmen nicht mehr vertreten sehen oder gar ausgeschlossen fühlen, wächst Misstrauen und Ablehnung gegenüber der Politik und demokratischen Institutionen – und davon profitieren populistische und rechtsextreme Kräfte. Zum Schutz unserer Demokratie und zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts sind größere und wirksamere Anstrengungen gegen soziale Ungleichheit und Armut notwendig.“ so Martin Mandel (Mitglied des Sprecher*innenrates der LAK, DGB Sachsen Anhalt)
Erste Eindrücke vom Fachtag
Über 100 Teilnehmende kamen zum Fachtag. Das Programm umfasste ein Grundsatzreferat von Dr. Ulrich Schneider, ehemaliger Hauptgeschäftsführer vom Paritätischen Gesamtverband, einen Markt der Initiativen (u.a. Netzwerk gegen Kinderarmut, Flüchtlingsrat, Tafel Sachsen-Anhalt, Werkstatträte, LAMSA), fünf Themenforen (Workshops) mit renommierten Referent*innen sowie eine Diskussionsrunde mit den Fraktionsspitzen der demokratischen Parteien im Landtag zu den Tagungsthemen.
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Mit diesen Perspektiven beschäftigte sich die Landesarmutskonferenz in ihrem Fachtag.
- Soziale Ungleichheit wächst: Wird Armut zum Risiko für die Demokratie? (Dr. Dorothee Spannagel, Referatsleiterin für Verteilungsanalyse und Verteilungspolitik am WSI der Hans-Böckler-Stiftung)
- Sozialpolitik von Rechts: Soziale Rhetorik – Neoliberale Praxis (Prof. Dr. Frank Decker, Professor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn)
- Arm und selbst schuld? Zu Debatten um Eigenverantwortung, Klassismus und Marginalisierung (Dr. Christopher Wimmer, Soziologe an der Humboldt-Universität zu Berlin)
- Antworten auf Einwände gegen soziale Gerechtigkeit (Dr. Patrick Schreiner, Gewerkschaftssekretär im Bereich Wirtschaftspolitik ver.di)
Unser Fazit:
Armut und wachsende soziale Ungleichheit sind eine ernsthafte Bedrohung für unsere Demokratie.
Wir fordern daher entschlossene, solidarische Lösungen, um Armut endlich wirksam zu verhindern.
Dazu ist ein politischer Kurswechsel nötig.
Hintergrundinformationen zur Landesarmutskonferenz Sachsen-Anhalt:
Die Landesarmutskonferenz ist ein Forum von Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege, Gewerkschaften, Verbänden, Vereinen, Initiativen, Selbstvertretungen von Armut betroffener Menschen und wissenschaftlichen Institutionen in Sachsen-Anhalt, die mit ihrer fachlichen Arbeit dazu beitragen, Lösungsansätze zur Vorbeugung und Überwindung von Armut aufzuzeigen und gegenüber der Politik einzufordern. Die LAK wurde am 15. November 2023 gegründet und versteht sich als regionale Initiative zur Nationalen Armutskonferenz.