Gemeinsame Erklärung zu geplanten Haushaltskürzungen der Migrationsfachdienste

, Magdeburg

Für zahlreiche Migrationsfachdienste steht es aufgrund der im Entwurf des Bundeshaushalts vorgesehenen drastischen Kürzungen „kurz vor 12“. Jedem dritten Beratungsangebot droht das Aus. Von den Kürzungen sind die Ostbundesländer in einem besonderen Maße betroffen.

Ein breites Bündnis stemmt sich gegen die für 2024 vorgesehenen Kürzungen und hat heute eine gemeinsame Erklärung abgegeben, welche die in den letzten Wochen ausgetauschten Argumente zusammenfasst und die dramatischen Folgen für Sachsen-Anhalt verdeutlicht.

Unterzeichner sind:

AWO Arbeiterwohlfahrt Sachsen-Anhalt, AGSA Auslandsgesellschaft Sachsen-Anhalt, Arbeit und Leben Sachsen-Anhalt, Ausländerbeirat der Stadt Halle, Caritasverband für das Bistum Magdeburg, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband – Landesverband Sachsen-Anhalt, DGB Deutscher Gewerkschaftsbund Sachsen-Anhalt, Diakonie Mitteldeutschland, Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt, Landeshauptstadt Magdeburg, Landkreis Saalekreis, Runder Tisch für Zuwanderung und Integration, gegen Rassismus in Sachsen-Anhalt, Stadt Halle (Saale).

Die Erklärung wurde an folgende Politiker*innen und Mandatsträger*innen verschickt:

  • Carsten Schneider – Staatsminister und Ostbeauftragter der Bundesregierung
  • Prof. Dr. Helge Braun – Vorsitzender Haushaltsauschuss des Bundes
  • Bettina Hagedorn – stellv. Vorsitzende Haushaltsauschuss des Bundes
  • Landesgruppen Ost der Regierungsfraktionen
  • Reem Alabali-Radovan – Staatsministerin & Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration
  • MdB Sachsen-Anhalt
  • Dr. Reiner Haseloff – Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt
  • Dr. Tamara Zieschang – Innenministerin von Sachsen-Anhalt
  • Petra Grimm-Benne – Sozialministerin von Sachsen-Anhalt
  • Eva Feußner – Bildungsministerin von Sachsen-Anhalt

Gemeinsame Erklärung – Geplante Kürzungen des Bundes gefährden die Integrationsleistungen der Migrationsfachdienste in Sachsen-Anhalt (im Wortlaut)

Der Entwurf des Bundeshaushalts für das Jahr 2024 sieht drastische Kürzungen bei den Migrationsfachdiensten vor: Hiervon besonders betroffen sind die Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte (MBE) mit Kürzungen um 24 Millionen Euro sowie der Bereich der Jugendmigrationsdienste (JMD) mit Kürzungen um 10 Millionen Euro sowie des Respekt Coaches Programm mit Kürzungen um 31 Millionen Euro. Damit droht jedes dritte Beratungsangebot wegzufallen.

Menschen zu helfen, die vor bewaffneten Konflikten, Armut, den Folgen von Klimawandel und Umweltkatastrophen und wirtschaftlichen Notlagen fliehen, ist unsere humanitäre und völkerrechtliche Verpflichtung. Neben den Schutzsuchenden haben ebenso Fachkräfte aus Drittstatten und Unionsbürger einen hohen Beratungs- und Orientierungsbedarf in Bezug auf die soziale und berufliche Integration. Die Zuwanderungszahlen stellen die Kommunen vor drastische Herausforderungen – bergen jedoch zugleich eine enorme Chance mit Blick auf die gesellschaftlichen Aufgaben insbesondere in ostdeutschen Bundesländern.

Sparkurs im absurden Widerspruch zum hohen Beratungsbedarf im Osten

Die Zuwanderung unterliegt im Osten einer besonderen Dynamik. Der Anteil der ausländischen Bevölkerung in Sachsen-Anhalt ist seit 1990 überproportional rasch gewachsen: von 0,6 % auf knapp 8 %. Die stark dynamische Zuwanderung nach Sachsen-Anhalt erfolgt durch Schutzsuchende, Zuwandernde aus Drittstaaten sowie durch Fachkräftezuwanderung aus den EU-Mitgliedsstaaten. Urbane Räume ebenso sowie der ländliche Raum sind durch Zuwanderung geprägt und erzeugen flächendeckend hohe Bedarfe in der Beratungslandschaft von Sachsen-Anhalt.

Hiesige Unterstützungsstrukturen und die Willkommenskultur sind entsprechend nicht historisch gewachsen und gefestigt, die Beratungslandschaft weniger flächendeckend ausgebaut. Die Migrationsfachdienste als ganzheitliche Beratungsstruktur sind nun durch massive Sparmaßnahmen des Bundes bedroht – zu Lasten der ratsuchenden Menschen, des Wirtschaftsstandorts Sachsen-Anhalt und des gesellschaftlichen Zusammenhalts vor Ort.

Erwerbsfähige Bevölkerung in ostdeutschen Ländern schwindet

Die Bevölkerungsstruktur ist noch immer durch den Geburteneinbruch nach der Wiedervereinigung und die Abwanderung der letzten Jahrzehnte geprägt. Etwa 30 % der Arbeitnehmer gehen in den kommenden Jahren in den Ruhestand, Stellen können über Monate nicht nachbesetzt werden. Arbeits- und Fachkräfte fehlen. Im Juli 2023 waren bei den Agenturen für Arbeit in Sachsen-Anhalt 20.900 Arbeitsstellen zur Besetzung gemeldet. Die aufeinander angewiesene wirtschaftliche und soziale Infrastruktur im Land ist zukünftig mit Blick auf die branchenübergreifenden Engpässe, z. B. im Baugewerbe, dem Handwerk oder der Pflege nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Schnittstelle zwischen Zugewanderten, Behörden und Arbeitgeber*innen

Zuwanderung birgt hier ein besonderes Potenzial. Die in den letzten 30 Jahren aufgebaute Unterstützungsstruktur kennzeichnet nicht nur einen zentralen Grundbaustein des gesellschaftlichen Integrationsprozesses in Sachsen-Anhalt. Sie birgt auch die entscheidende Schnittstelle zwischen den zunehmend überlasteten Regeldiensten (z. B. Ausländerbehörden und Jobcentern), den potenziellen Arbeitgeber*innen und den Ratsuchenden – und ist damit für eine berufliche Integration sowie dem Ausschöpfen des bereits vorhandenen Fachkräftepotenzials unerlässlich. Ungefähr 30.000 Migrant*innen sind arbeitssuchend – darunter 6.000 Fachkräfte und 3.300 Expert*innen und Spezialist*innen.

Nachfrage in den Beratungsdiensten ist hoch

Pro Jahr werden mehr als 15.000 Menschen in Sachsen-Anhalt von MBE und JMD betreut und begleitet – hinzu kommen Anfragen bei weiteren Diensten und zahlreiche Ehrenamtsprojekte. Die Nachfrage nach qualitativer Beratung zu Integrationsfragen und Fachkräftesicherung bleibt unverändert hoch und ist mit Blick auf die steigenden Zuzugszahlen sowie die Umsetzung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes unabdingbar. Jeder Euro, der bei der beruflichen und sozialen Integration gespart wird, wird der Gesellschaft später z. B. durch Bezug von Transfer- oder Sozialleistungen in Rechnung gestellt.

Ratsuchende, Wirtschaft und Verwaltung sind schlichtweg auf die Unterstützung dieser Beratungsstrukturen angewiesen. Es besteht dringender Handlungsbedarf, Beratungs- und Unterstützungsangebote zu stärken und „angemessen zu fördern“, wie es die Bundesregierung im Koalitionsvertrag versprach, um sowohl eine Destabilisierung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes in den Kommunen, als auch eine erhebliche Beeinträchtigung für den Ausbau des Wirtschaftsstandorts Sachsen-Anhalts zu verhindern.

Im beigefügten Faktenpapier finden Sie Informationen zu den Migrationsfachdiensten. Wir stehen Ihnen sehr gerne für Gespräche zur Verfügung.

Unsere Forderung: Abwendung der Kürzungen und angemessene Förderung der Investition in die Menschen

Wir nehmen die haushaltspolitischen Entscheidungen im völligen Widerspruch zum realen gesellschaftlichen Bedarf an Integration und Willkommenskultur wahr. Insbesondere da die angesprochene Kürzung im Bezug zum Gesamthaushalt mit Ausgaben in Höhe von ca. 445 Milliarden Euro eine vergleichsweise geringe Summe darstellt und zeitgleich dramatische Auswirkungen für unser Bundesland befürchten lässt.

Wir setzen uns ein für ein Land, geprägt von einer ehrlichen Willkommenskultur, das Zuwanderung als Chance anerkennt. Ein Land, das dem branchenübergreifenden Interesse nach einer schnellen Integration mit wenig Bürokratie nachkommt und das Menschen, insbesondere denen die bereits hier sind, Teilhabe sichert sowie Orientierung beim Ankommen und auf dem Weg in den Arbeitsmarkt bietet.

Wir fordern deshalb eine Abwendung der Kürzungen für eine angemessene Ausstattung der Migrationsfachdienste und damit der Sicherung der Verzahnungsstelle zwischen Zugewanderten, ihrer Teilhabe in der Gesellschaft, den Kommunen und der Wirtschaft. Ziele, die nur gemeinsam erreicht werden können, dürfen nicht haushaltspolitisch gegeneinander ausgespielt werden.

Derzeit befeuern zunehmend populistische Debatten, die sich nicht mit Fakten aufhalten, den antimigrantischen Diskurs weiter. Gerade in dieser angespannten Situation gilt es, in Integration und Soziales zum Wohle aller Menschen in Deutschland zu investieren und nachhaltig die ganze Gesellschaft zu stärken.

Wir fordern Sie eindringlich dazu auf, alle Ihnen zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen und sich mit Blick auf die anstehende Haushaltsbereinigungssitzung am 16.11.2023 für die Menschen in Sachsen-Anhalt einzusetzen.

Zurück

Weitere Beiträge, die Sie interessieren könnten

Verbändeübergreifende Aktion am 16. September auf dem Alten Markt in Magdeburg

Wir erheben gemeinsam mit anderen Organisationen unsere Stimme am 20. September 2024 beim Aktionstag auf dem Magdeburger Domplatz.

Wir freuen uns riesig und sind unglaublich stolz, dass das Gemeinschaftsprojekt „Körbe gegen Gewalt“ bei der renommierten Preisverleihung „machen!2024“ von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgezeichnet wurde.

Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen brauchen unsere Unterstützung und unser Verständnis. Jeder sollte weiterhin an gesellschaftlichen Aktivitäten teilhaben können.

Die AWO Sachsen-Anhalt sensibilisiert für mehr Klimagerechtigkeit und fairen Produkthandel

Vor dem Hintergrund der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen fordert AWO Sachsen-Anhalt einen politischen Kurswechsel von den demokratischen Parteien.