Kitas in der Zerreißprobe zwischen Anspruch und Wirklichkeit - AWO fordert schrittweise Anpassung an wissenschaftliche Empfehlungen
Der Bildungsanspruch eines jeden Kindes darf nicht von der Kassenlage abhängen!
Steffi Schünemann, Vorständin der AWO Sachsen-Anhalt, betont: „Der Bildungsanspruch eines jeden Kindes darf nicht von der Kassenlage abhängen. Wer heute an Bildung und Familien spart, zahlt in Zukunft doppelt und dreifach.“
Kinder haben einen gesetzlich verankerten Rechtsanspruch auf beste Bildung, den Bund, Land und Kommunen gewährleisten müssen. Sachsen-Anhalt hat dabei eine der höchsten Betreuungsquoten, lange Öffnungszeiten und hochqualifizierte Kita-Teams.
Das Bildungsprogramm „Bildung elementar – Bildung von Anfang an“, das die Grundlage der Bildung, Betreuung und Erziehung in den Kindertageseinrichtungen in Sachsen-Anhalt bildet, ist anerkanntermaßen eines der Modernsten in der Bundesrepublik.
Hohe Standards in Kitas sorgen für einen guten Start der Kinder in die Bildung. Die Flexibilität der Öffnungszeiten der Einrichtungen hilft den Eltern, berufstätig sein zu können und sie helfen gleichzeitig den Arbeitgebern vom Arbeitskräftemangel nicht mit voller Wucht getroffen zu werden. In Kitas lernen Kinder Dinge miteinander auszuhandeln und üben die Beteiligung an Entscheidungen.
Kitas sind somit der Garant für gute Bildungschancen, das Kinderzimmer der Demokratie, Standortfaktor und Wirtschaftsförderung zugleich. Sie treffen aber auf Rahmenbedingungen, die diesem Anspruch nicht gerecht werden.
In der Realität stehen Kitas unter enormem Druck. Fachkräfte sind überfordert und häufig krank. Die hohen Krankheitsausfälle belegen, dass Kitas am Limit arbeiten. Psychische Erkrankungen sind eine Folge. Der Frust wächst, da die Fachkräfte ihrem Anspruch nicht gerecht werden können, Hektik den Alltag dominiert und Kinder diesen Druck spüren. Grund hierfür sind unzureichende Rahmenbedingungen, die nicht den wissenschaftlichen Empfehlungen entsprechen, etwa bezüglich der Personalschlüssel, der Kompensation von Ausfallzeiten und der Berücksichtigung von Vor- und Nachbereitung oder Elternarbeit. Erforderliche politische Entscheidungen zur Kita-Bildung werden oft von der Kassenlage in Bund, Land und Kommunen abhängig gemacht. Dass der Bund sich weiter finanziell beteiligt ist zwar positiv, kann aber nur ein Zwischenschritt zu echten bundesweiten Standards sein. Jetzt kommt es auf die weitere Gestaltung der Rahmenbedingungen im Land an. In Sachsen-Anhalt wird derzeit über eine Änderung der Elternbeitragsentlastung diskutiert, die Familien mit mehreren Kindern finanziell stärker belasten könnte. Angesichts sinkender Geburtenzahlen stellt sich die Frage, ob solche Maßnahmen sinnvoll sind.
Steffi Schünemann, Vorständin der AWO Sachsen-Anhalt, betont, dass man sich einen Sparkurs in der Kita-Landschaft nicht leisten könne. „Öffentliche Ausgaben für Kitas haben eine hohe Rendite für die Gesellschaft und Wirtschaft. Die in den letzten Jahren erzielten Qualitätsverbesserungen wie den Erhalt des Ganztagsanspruchs, verbesserte Personalschlüssel und die teilweise Anrechnung von Ausfallzeiten müssten konsequent schrittweise weiter verbessert werden. Wissenschaftliche Empfehlungen sollten der Maßstab sein. Es sollte geprüft werden, ob die sinkenden Geburtenzahlen eine Chance zur Verbesserung des Personalschlüssels bieten.“
Kita-Aktionstag am 20.09.24
Am 20.09.2024 veranstalten wir zusammen mit verschiedenen Kita-Trägern, der Landeselternvertretung und den Gewerkschaften GEW und ver.di von 11.00 Uhr bis 14.30 Uhr einen Kita-Aktionstag auf dem Magdeburger Domplatz. Hier werden die Beschäftigten und Eltern ihre Stimme für die Verbesserung der Bedingungen in Sachsen-Anhalts Kitas erheben.
Krankheitsausfälle in ausgewählten Regionen
AWO Kitas Region Landkreis Börde: AU Quote 06/2024 - 10,7%
Angela Fricke, Einrichtungsleiterin:
„Die Kinder stehen bei uns an erster Stelle. Die Erzieher*innen haben aber das Gefühl, ihrem Auftrag nicht gerecht zu werden. Projekte oder Aktivitäten werden geplant, können aber nicht durchgeführt oder beendet werden, wenn Personal fehlt. Damit bleibt frühkindliche Erziehung und Bildung auf der Strecke. Das kann sich unser Land einfach nicht leisten. Hier muss es dringend Verbesserungen geben, die am Kind ankommen.“
AWO Kitas Region Harz AU Quote 06/2024 – 14%
Kai-Gerrit Bädje, Geschäftsführer der AWO Kinder- und Jugendhilfe GmbH:
„Die landwirtschaftliche Weisheit, wo nicht gesät wird, wird auch nicht geerntet, gilt auch für die frühkindliche und später auch für die berufliche Bildung. Land auf, Land ab wird das Fehlen von Fachkräften beklagt. Ohne Investition in Bildung wird die Qualität zukünftig zur Verfügung stehender Arbeitskräfte nicht steigen, geschweige denn gehalten werden. Wer jetzt nicht investieren will, verwirkt die Legitimation sich zukünftig zu beklagen.“
AWO Kitas Region Magdeburg AU Quote 06/2024 – 11,8%
Andrea Zander, Geschäftsführerin AWO Kreisverband Magdeburg:
„Wer eine gute Zukunft will, muss in die Zukunft investieren. Also in angemessene Personalschlüssel für die Bildung, Erziehung und Betreuung aller Kinder- die unsere Zukunft sind. Den Anspruch von umfänglichen Öffnungszeiten für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gerecht zu werden und dabei die besten Entwicklungs- und Bildungsangebote für alle Kinder vorzuhalten, gelingt unter diesen Rahmenbedingungen nicht mehr. Das führt zu Frust, Dauerstress und Überlastung, weil die eigentliche, geplante pädagogische Arbeit oftmals nicht möglich ist. Deshalb muss in Kindergärten/Krippen und in den Horten nachgesteuert werden, damit das Bildungsprogramm und der damit verbundene Qualitätsanspruch geleistet werden kann. Unsere Fachkräfte wollen am, mit und für die Kinder da sein. Hierfür brauchen sie Zeit!“
AWO Kitas Region Halle, AU Quote 06/2024 14,8%
Dr. Gaby Hayne, Geschäftsführerin AWO Regionalverband Halle-Merseburg e.V.:
„Steigende Krankenstände sind eine enorme Mehrbelastung für die verbleibenden Fachkräfte. Um die gute frühkindliche Betreuung und Erziehung nicht zu gefährden, bedarf es einem weiteren Ausbau des verbesserten Personalschlüssels und eine Anpassung der Ausfallzeiten. Gute frühkindliche Bildung sichert Sachsen-Anhalt Fachkräfte und spart Geld in der Zukunft.“