Mehr als 2000 Menschen bei Protesttag gegen Sozialabbau in Magdeburg
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Entschlossen und lautstark, aber friedlich und fair: Ein breites Bündnis aus Werkstätten für behinderte Menschen, Wohneinrichtungen, Verbänden der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege, ambulanten Assistenzangeboten, privaten Anbietern sozialer Dienste, Integrativen Kindertagesstätten und Frühförderstellen aus ganz Sachsen- Anhalt hat am 24. Oktober erfolgreich auf dem Domplatz Magdeburg gegen den Sozialabbau in der Behindertenhilfe demonstriert. Mehr als 2000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus allen Landesteilen hatten den Platz vor dem Landtag mit Fahnen, Transparenten, Plakaten und Schildern gefüllt. „Kein Sparen auf Kosten der Schwächsten!“ war da etwa zu lesen, „Inklusion statt Illusion!“ oder „Der Spätdienst
wurde gestrichen.“ Die Trillerpfeifen, Tröten und Rasseln der Menschenmasse war bis in angrenzende Stadtteile zu hören – so geht öffentlichkeitswirksamer Protest von Menschen mit und ohne Behinderungen! Das konnten selbst die tagenden Angeordneten im Landtag weder überhören noch übersehen …
Anlass der Demonstration sind die dramatischen Kürzungspläne des Landes zu Lasten der Unterstützungsangebote für Menschen mit Behinderungen. Würden die im Raum stehenden Personalkürzungen umgesetzt, führt dies unweigerlich zu massiven Leistungsreduzierungen und zu Personalentlassungen. Denn: Das Sozialministerium hat
zum Jahresende den Landesrahmenvertrag gekündigt. Der Vertrag regelt die Leistungen und Vergütungen, die von den Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen erbracht werden. Der Rahmenvertrag wurde vom Sozialministerium mit den Verbänden der Leistungserbringer im August 2019 geschlossen und im Frühjahr überraschend zum Jahresende gekündigt. Der Vorschlag des Landes zur zukünftigen Personalausstattung in allen Bereichen der Behindertenhilfe ist so nicht hinzunehmen!
Mehrere Abgeordnete verschiedener Fraktionen wie Katja Pähle (SPD), Tobias Krull (CDU), Nicole Anger (Linke) und Susan Sziborra-Seidlitz (Grüne) traten für Statements auf die Bühne. „Es gibt für Menschenrechte keinen Finanzierungsvorbehalt. […] Inklusion als Menschenrecht kann und darf nicht nach Kassenlage entschieden werden“, erklärte etwa Sziborra-Seidlitz, die auch im Sozialausschuss sitzt. „Mehr Inklusion wird mehr Geld kosten, nicht weniger.“ Aus der SPD-Fraktion hieß es in einer Stellungnahme, dass „auch wenn am Ende des Jahres kein neuer Rahmenvertrag steht, bleiben die Leistungsvereinbarungen bestehen und werden nahtlos fortgeführt.“ Das Land stelle sicher, dass die Verpflichtungen gegenüber den Menschen mit Behinderungen auch in der Übergangsphase erfüllt werden. Niemand werde im Regen stehen gelassen.
Letzte Rednerin des Tages war Sozialministerin Petra Grimm-Benne. Bereits während der Landtagssitzung hatte die SPD-Politikerin betont, was sie auch auf der Bühne wiederholte: „Wenn wir am Ende des Jahres feststellen, dass es nicht zu einem Abschluss eines neuen Rahmenvertrags kommt, wird die Landesregierung deren Inhalte per Rechtsverordnung regeln. Dabei ist mir eine Sache besonders wichtig zu betonen: Die Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen gelten bis zum Abschluss neuer Vereinbarungen fort.“ Einen Sparkurs wird es nicht geben, verspricht sie. Denn: „Für 2025 sind 711 Millionen Euro und für 2026 rund 723 Millionen Euro eingeplant. Auch für Tariferhöhungen einzelner Träger werden wir Lösungen finden.“ Die Einladung der Initiatoren an Mitglieder des Finanzausschusses für Statements wurde ausgeschlagen bzw. verstrich ohne Reaktion.
Am Ende des sechsstündigen Protestes bleiben eine Menge Zusagen und damit ordentlich Rückenwind für die Leistungserbringer, um zügig und mit breiter Brust an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Andreas Löbel, Vorstandsmitglied der LAG WfbM Sachsen-Anhalt e. V. und Geschäftsführer der Lebenshilfe Harzkreis- Quedlinburg, resümierte: „Die Ministerin muss ihr Haus jetzt auf Spur bringen. Die Sozialagentur. Personalschlüssel sind nicht verhandelbar! Seit Mai war in den Verhandlungen nichts passiert. Die Zeit der Scheintermine ist jetzt vorbei!“
Und Antje Ludwig, Vorsitzende der LIGA, ergänzte: „Wir nehmen die Ministerin mit Blick auf Tarifanerkennung und Leistungssicherung beim Wort und hoffen, dass dies nicht
nur Lippenbekenntnisse sind! Das wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Wir werden hinsichtlich Qualität und verlässlicher Versorgung nicht nachgeben. “
Hintergrund:
Die LAG WfbM Sachsen-Anhalt setzt sich für die Förderung, Bildung und Betreuung von mehr als 11 500 Beschäftigten in landesweit 33 Werkstätten ein. Sie arbeitet auf Landes- und Bundesebene mit Verbänden und politischen Vertretungen zusammen. Die Beschäftigten haben in den Werkstätten Möglichkeiten zur Teilhabe am Arbeitsleben. Sie gehen unterschiedlichen Arbeiten in verschiedenen Bereichen nach. Ein wichtiger Bestandteil der Werkstattleistung ist die individuelle Förderung. Die Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) ist eine Einrichtung zur Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderungen. Menschen, die wegen der Art oder Schwere ihrer Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, erhalten hier eine angemessene berufliche Bildung und Beschäftigung. Die Werkstätten ermöglichen ihnen, ihre Leistungsfähigkeit zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen und ein Arbeitsentgelt zu erzielen. In Deutschland sind aktuell etwa 320 000 Menschen in rund 700 anerkannten Werkstätten beschäftigt.
Unter dem Dach der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege im Land Sachsen-Anhalt sind alle gemeinnützigen Spitzenverbände sozialer Arbeit im Land organisiert: die AWO, die CARITAS, der PARITÄTISCHE, das DRK, die DIAKONIE und der Landesverband Jüdischer Gemeinden. Die Einrichtungen der Verbände unterstützen Kinder, Jugendliche und Familien, Menschen mit Behinderung und organisieren soziale Hilfen sowie Gesundheitshilfen. Die Verbände repräsentieren etwa 30 000 ehrenamtliche und rund 65 000 hauptamtliche Mitarbeitende in mehr als 3 600 sozialen Diensten und Einrichtungen.
Quelle: Gemeinsame Presseinformation der Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen Sachsen-Anhalt e. V. und der Liga der Freien Wohlfahrtspflege im Land Sachsen-Anhalt e. V. vom 25. Oktober
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