Weltflüchtlingstag am 20. Juni: EU-Asylreform mit schwerwiegenden Folgen für Schutzsuchende und Europas Menschenrechte!

, Magdeburg

Der AWO Landesverband Sachsen-Anhalt e. V. zeigt sich entsetzt über die vereinbarten Änderungen des gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS) und fordert das Europäische Parlament dazu auf, seiner humanitären Verantwortung gerecht zu werden.

„Wenn Schutzsuchende, darunter viele Kinder, faktisch massenhaft an den EU-Grenzen inhaftiert werden, dann hat das mit Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun. Dass eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung diesen menschenverachtenden Änderungen zugestimmt hat, macht uns betroffen und sprachlos.“, so Barbara Höckmann, Vorsitzende des Präsidiums des AWO Landesverbandes Sachsen-Anhalt.

Hintergrund ist die Einigung des Rates der EU-Innenminister*innen und damit auch der Bundesregierung vom 8. Juni 2023. Darin ist auch die Installierung von Asylaufnahmelagern an den EU-Außengrenzen vorgesehen, die die Zulässigkeit des Asylantrags vor der individuellen Beurteilung prüfen und ggf. Asylgrenzverfahren festlegen. Dies soll unter anderem Personen aus Herkunftsländern betreffen, deren EU-weite durchschnittliche Anerkennungsquote unter 20 Prozent liegt, z. B. Russland, Bangladesch oder Pakistan.

Das Festhalten der Menschen an den Außengrenzen allein aufgrund ihres Schutzgesuches verstößt massiv gegen die Grundgedanken der Genfer Flüchtlingskonvention. Die pauschale Beurteilung missachtet, dass auch in Ländern ohne Krieg vulnerable Gruppen von Verfolgung bedroht sein können. Mit Blick auf die bereits gesammelten Erfahrungen mit Aufnahmezentren in Griechenland und Italien sind große Lager zu befürchten, in denen menschenunwürdige Lebensbedingungen herrschen und rechtstaatliche Prinzipien unterwandert werden.

Die Inhaftierungen betreffen auch Kinder und Jugendliche in großer Zahl. Etwa ein Drittel der Schutzsuchenden in der EU ist minderjährig. Nur Minderjährige ohne Begleitung einer sorgeberechtigten Person sollen von den Grenzverfahren ausgenommen bleiben. Kinder und ihre Familien sind somit von langwierigen Asylverfahren in den Außenlagern ohne Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilhabe bedroht.

Zudem dürfen alle Schutzsuchenden, darunter auch Personen aus Afghanistan oder Syrien, zurück in einen Drittstaat überführt werden, wenn eine Verbindung zu diesem besteht. Die Durchreise, Familienangehörige oder ein vorheriger Aufenthalt können hier Kriterien für eine Verbindung sein. Die Spannbreite dafür verbleibt der Auslegung. Auch diese Asylanträge könnten so pauschal als unzulässig abgelehnt und Schutzsuchende ohne konkrete Beurteilung ihres Schutzbegehrens in einen beliebigen Drittstaat mittels dieser wagen Kriterien rückentsendet werden.

Des Weiteren wird die Verantwortung für die Staaten an der EU-Außengrenze durch die neuen verpflichtenden Grenzverfahren sogar absehbar größer als bisher. Trotz der Einigung zur freiwilligen Umverteilung bzw. Zahlung von Kompensationsgeldern ist eine wirksame Entlastung der Außenstaaten und eine Verbesserung der menschenrechtlichen Situation an den Grenzen somit nicht erwartbar.

Aber das Europäische Asylsystem kann nur mit einer verbindlichen Verteilung funktionieren. Die Erfahrung zeigt: Mehr als 4,5 Millionen Geflüchtete – wie im Jahr 2022 – bringen einzelne Länder oder Regionen an ihre Aufnahmegrenzen – nicht aber die gesamte Europäische Union. Deshalb ist sicherzustellen, dass alle EU-Staaten ihrer Verantwortung für die Registrierung und menschenrechtskonformen Aufnahme und Unterbringung nachkommen und sich möglichst viele Staaten an einem fairen und menschenrechtskonformen europäischen Verteilungssystem beteiligen.

„Der Zugang zum Asylsystem und die Einhaltung der Menschenrechte muss beachtet werden! Illegale, gewaltvolle Pushbacks sind nicht hinnehmbar! Schutzsuchende dürfen nicht an der Erreichung der europäischen Außengrenzen gehindert werden. Anstelle braucht es den Einsatz für eine gemeinsame europäische Seenotrettung, ein belastbares Monitoring der menschenrechtlichen Situation sowie die Verfolgung aller Rechtsverstöße an den europäischen Außengrenzen als Grundfeste für ein funktionierendes europäisches Asylsystem“, so die Vorsitzende.

Dies sollte sich nun das Europäische Parlament bewusstmachen und den Mut zu einer menschenwürdigen Flüchtlingspolitik finden. Nach der Einigung der EU-Innenminister*innen verhandelt nun nämlich das Europäische Parlament über die Beschlüsse. Ziel ist, die Reformvorschläge bis zum Ende der europäischen Legislaturperiode im Frühjahr 2024 zu verabschieden.

Was tun wir im Land Sachsen-Anhalt, um Schutzsuchende zu unterstützen?

» Weitere Informationen zu AWO-Projekten und Migrationsberatungsstellen hier.

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