Offener Brief zur Gemeinschaftsunterbringung und Gesundheitsversorgung

, Magdeburg

Den Zugang zu medizinischer Versorgung und Schutz vor Infektionen für alle Menschen sicherzustellen, das fordert die AWO in einem gemeinsamen Appell zivilgesellschaftlicher Organisationen.

Appell zivilgesellschaftlicher Organisationen zur Corona-Krise

Menschen in prekären Lebenslagen trifft die Corona-Krise besonders hart. In einem offenen Brief appellieren zivilgesellschaftliche Organisationen, Kirchen und Gewerkschaften an die Landesregierung und Landrät*innen von Sachsen-Anhalt, den Zugang zu Unterkunft, Leistungen zum Existenzminimum und medizinischer Versorgung für alle Menschen in Sachsen-Anhalt sicherzustellen. Der AWO Landesverband Sachsen-Anhalt e.V. gehört zu den Erstunterzeichnern.

Zugang zu medizinischer Versorgung und Schutz vor Infektionen für alle Menschen sicherstellen

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Haseloff,
sehr geehrte Landrät*innen und Oberbürgermeister,

Menschen in prekären Lebenslagen trifft die Corona-Krise besonders hart. Dazu zählen Wohnungs- und Obdachlose, Menschen in Sammelunterkünften und Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus und/oder ohne Krankenversicherung.

Als zivilgesellschaftliche Organisationen, Kirchen und Gewerkschaften sehen wir mit Sorge, dass für diese Personen kein ausreichender Infektionsschutz und Zugang zu medizinischer Versorgung besteht.

Wir sind uns bewusst, dass viele Verwaltungen, Organisationen und Helfer*innen von der Pandemie und ihren begleitenden Umständen unerwartet getroffen wurden und nun am Rande ihrer Kapazitäten arbeiten, um Menschenleben zu schützen. Wir bedanken uns daher bei allen, die jetzt schon ihren Teil dazu beitragen.

Dem Dank möchten wir Forderungen an die Landesregierung sowie die Landrät*innen der Landkreise und Oberbürgermeister der kreisfreien Städte von Sachsen-Anhalt zur Seite stellen, da nun dringende Sofortmaßnahmen nötig sind, um den Zugang zu Unterkunft, Leistungen zum Existenzminimum und medizinischer Versorgung für alle Menschen in Sachsen-Anhalt sicherzustellen:

1. Infektionsrisiko senken: Bereitstellung von Wohnungen statt Massenunterbringung
Wir fordern eine sofortige Auflösung der Massenunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen. Das damit verbundene Infektionsrisiko ist für alle Bewohnerinnen und Bewohner und ebenso für alle dort arbeitenden Menschen nicht zu verantworten. Geflüchtete, die Risikogruppen angehören wie Ältere oder Menschen mit Vorerkrankungen, müssen in besonderer Weise geschützt werden.

Die Landkreise sollten mit den Kommunen gemeinsam alle Möglichkeiten zur Unterbringung in kleineren Gruppen ausschöpfen und Wohnungen bereitstellen (z.B. durch die Nutzung von Apartment-Hotels oder Ferienwohnungen), in denen Menschen bei der Notwendigkeit einer Quarantäne verbleiben können, wenn sie obdachlos sind oder in sehr beengten Wohnverhältnissen oder in Massenunterkünften leben.
Zur Vorbeugung von Mietschulden und somit von Wohnungslosigkeit müssen unbürokratische Hilfen zur Übernahme der Mietkosten zur Verfügung gestellt werden.

2. Zugang zu Informationen und Gesundheitsversorgung
Der eingeschränkte Zugang zu Gesundheitsversorgung in Abhängigkeit vom Aufenthaltstitel und Sozialleistungsanspruch kann in der momentanen Lage über Leben und Tod entscheiden. Wir fordern eine sofortige flächendeckende Öffnung des Gesundheitswesens und einen unbürokratischen Zugang zur regulären Versorgung für alle Menschen. Die Behandlung darf nicht vom Vorliegen eines Krankenscheins nach AsylbLG abhängig gemacht werden. Auch illegalisierte Menschen und Personen ohne Krankenversicherung müssen ab sofort getestet und gegebenenfalls behandelt werden.Es muss ausdrücklich zugesichert werden, dass sensible Daten nicht an die Ausländerbehörde übermittelt werden (Aussetzung des § 87 Aufenthaltsgesetz). Die Kosten für diese dringend notwendigen Gesundheitsleistungen sind selbstverständlich aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten.

Der Zugang zu Information, mehrsprachigen Materialien, Sprachmittlung und Vermittlung von zuverlässigen Informationen sowie der Zugang zum Internet über frei zugängliches WLAN in allen Geflüchtetenunterkünften muss unverzüglich und flächendeckend gewährleistet werden.
Auch der Zugang zu psychologischer Beratung und Betreuung muss ausreichend abgesichert werden, da die Situation der Quarantäne auch traumatisierend oder re-traumatisierend wirken kann.

3. Einfache und schnelle Hilfe statt bürokratischer Hürden
Jeder Besuch in einer Behörde und ihren überfüllten Wartesälen birgt das Risiko der
Ansteckung und Übertragung. Es gilt daher, Termine mit den Behörden weitestgehend einzustellen und Verfahrensvorgänge online oder postalisch durchzuführen. Aufenthaltsgestattungen, -erlaubnisse und Duldungen müssen vorübergehend unbürokratisch verlängert und, sofern nicht anders möglich, postalisch zugestellt werden. Sozialleistungen sollten, soweit vorhanden, auf Konten überwiesen werden.

Wir begrüßen, dass das Innenministerium bereits erste Schritte gegangen ist und beispielsweise die Verlängerung von Aufenthaltstiteln und Duldungen ohne persönlichen Kontakt erleichtert, höhere Schwellen an die Kürzung von AsylbLG-Leistungen legt und Überweisungen von Leistungen ermöglicht. Es liegt nun zu großen Teilen bei den kommunalen Behörden, ihr Möglichstes zu tun, um den Gesundheitsschutz der Leistungsberechtigen und ihrer Mitarbeiter*innen einzuhalten, ohne dabei leistungsberechtigte Personen auf der Strecke zu lassen.

Des Weiteren plädieren wir für größtmögliche Transparenz bezüglich dieser und künftiger Regelungen, um sie den von ihnen betroffenen Menschen zugänglich und verständlich zu machen.

Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums und der Zugang zu medizinisch notwendiger Behandlung sind Menschenrechte. Die Verwirklichung dieser Rechte dient – nicht nur in Zeiten der Pandemie, aber gerade jetzt – dem Wohle aller Menschen. Wir appellieren daher an Sie, die Umsetzung der genannten Forderungen schnellstmöglich zu veranlassen.

 

Offener Brief zivilgesellschaftlicher Organisationen zum Herunterladen

Appell medizinische Versorgung für alle (28,1 KiB)

Erstunterzeichnende Institutionen und Einzelpersonen

Ausländerbeirat Halle
AWO Landesverband Sachsen-Anhalt e.V.
Bund Evangelischer Jugend in Mitteldeutschland (bejm)
Bund der Deutschen Katholischen Jugend – Diözesanverband Magdeburg
Der Paritätische Wohlfahrtsverband Landesverband Sachsen-Anhalt e.V.
DGB Jugend Sachsen-Anhalt
Diakonie Mitteldeutschland
djo-Deutsche Jugend in Europa Landesverband Sachsen-Anhalt e. V.
Evangelische Hoffnungsgemeinde Magdeburg
Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.
Integrationshilfe Sachsen-Anhalt e.V.
Kinder- und Jugendring Sachsen-Anhalt e.V.
Landesfrauenrat Sachsen-Anhalt e.V.
Landesjugendwerk der AWO Sachsen-Anhalt e.V.
Landeskoordinierungsstelle LSBTI* Sachsen-Anhalt Nord
Lesben- und Schwulenverband in Deutschland-Landesverband Sachsen-Anhalt e.V.
Lothar-Kreyssig-Ökumenezentrum der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland
Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e.V.
Multikulturelles Zentrum Dessau e.V.
Netzwerk für Demokratie und Courage Sachsen-Anhalt e.V.
Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt
ver.di – Bezirk Sachsen-Anhalt Nord

Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voss; Manfred Seifert, Oberkirchenrat i.R.; Maria Gebhardt; Michael Marquardt

Gerne können weitere Organisationen und Einzelpersonen unterzeichnen. Senden Sie dafür eine Mail an: .

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